Open Password: Mittwoch, den 22. Juni 2016
ISI - Grundlagen der Informationswissenschaft - ZBW - Winfried Goedert
Editorial
15. Internationales Symposion ISI:
Alles in Ordnung,
aber wo bleibt die wissenschaftliche
und wissenschaftspolitische Relevanz!
Informationswissenschaftliche Grundsatzdebatte
nimmt Fahrt auf,
aber wo ist die Stimme der Jungen?
Lieber Leser von Open Password,
Sie konnten sich in den letzten Wochen mit den Beiträgen von Umstätter, Kuhlen, Jörs, Gödert und Wolff ein Bild - oder besser gesagt: mehrere Bilder - zum gegenwärtigen Stand der Informationswissenschaft machen. Mit Ausnahme des Beitrages von Wolff waren alle Autoren der Meinung, dass die Informationswissenschaft nicht nur eine Diagnose, sondern auch eine Therapie benötige. Ich habe nachzuweisen versucht, das Wolff nicht als Wissenschaftler, sondern als Vorsitzender des Hochschulverbandes Informationswissenschaft antwortete, der in einem typischen "unbedingten organisationspolitischen Reflex" eines Vereinspräsidenten meinte, die ihm anvertrauten Mitglieder in jedem Fall verteidigen und jede Problematik bestreiten zu müssen.
Mittlerweile ist der Call for Papers für das 15. Internationale Symposion für Informationswissenschaft erschienen. Von den 21 vorgegebenen Themenschwerpunkten wüsste ich keinen zu sagen, der gestrichen werden müsste. Verräterisch wird der Call for Papers erst, wenn man fragt, was er nicht enthält:
• die Frage nach einem gemeinsamen Bezugsrahmen der Informationswissenschaft;
• die Frage nach den qualitativen Defiziten der Informationswissenschaft;
• die Frage nach dem institutionellen Niedergang der Informationswissenschaft, wie sie sich aktuell an der bevorstehenden Abwicklung der Informationswissenschaft in Düsseldorf, der Amputierung der fachinformationspolitischen Angebote des DIMDI und der existenziellen Gefährdung der ZB MED manifestiert.
Damit werden die Gemeinsamkeiten zu dem Beitrag des HI-Vorsitzenden deutlich, nämlich einen "Business as usual" ungeachtet aller Heterogenitäten sowie qualitativer und institutioneller Defizite zu betreiben und ihn damit zu rechtfertigen. Wiederum werden Themenbereiche additiv aneinandergereiht, ohne dass danach gefragt wird, was sie verbindet. Darüber hinaus sind die Themenschwerpunkte im Call for Papers so ahistorisch formuliert, dass es bei der Abfassung eingereichter Beiträge schwerer fällt, auf aktuelle Entwicklungen und Ereignisse einzugehen oder diese gar kritisch zu hinterfragen. So wie der Call for Papers jetzt formuliert ist, verzichtet der HI zum guten Teil auf wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Relevanz.
Nicht, dass sich dieser Fehler nicht reparieren ließe. Organisationstechnisch wäre es noch fast unmittelbar vor Beginn des Symposions möglich, eine zusätzliche Sitzung (wenn nicht mehrere Sitzungen) einzurichten und auf grundlegende Probleme und aktuelle Entwicklungen und Ereignisse einzugehen. Referenten und Mitdiskutierende hätten wir mittlerweile genug. Was fehlt, und was, wie ich fürchte, 2017 weiter fehlen wird, ist der entsprechende verbandspolitische Wille.
Immerhin hat die informationswissenschaftliche Debatte um die eigenen Grundlagen Fahrt aufgenommen. So unterschiedlich die Diagnosen der Autoren, so verschieden sind die Therapievorschläge. Das reicht von der Meinung Wolffs, dass man gar nichts tun sollte, bis zum Vorschlag Kuhlens, fast sofort, da wir uns in einer Emergency befinden, einen informationswissenschaftlichen Sondergipfel einzuberufen. Konkrete Gemeinsamkeiten können sich allerdings im Zuge einer weiteren Debatte ergeben, im Besonderen, wie die Informationswissenschaft wieder zu beleben ist. Um so dankbarer bin ich, dass Prof. Gödert ein längeres Telefongespräch mit mir zum Anlass nahm, um einen weiteren Beitrag, diesmal über das richtige Format (Medium, Publikations- oder Veranstaltungsform) für eine (Wieder-)Belebung der Informationswissenschaft zu verfassen. Mehr Beiträge in Open Password oder anderswo bleiben willkommen.
Was ich an der bisherigen Debatte vermisse, sind Beiträge, die von den jüngeren noch nicht etablierten Informationswissenschaftlern kommen. Nicht, dass ich in den letzten Jahren nicht in dieser Gruppe nach Autoren gesucht hätte. Mir wurde mehrmals geantwortet, man wolle sich nicht die eigene wissenschaftliche Karriere verderben, indem man zu naseweis sei. Dabei gibt es eine interne wissenschaftliche Hierarchie und Beschränkungen der Meinungsfreiheit in der Scientific Community offiziell überhaupt nicht. Es regiert nur das Argument.
Wenn nun ein etablierter Wissenschaftler nach dem anderen das Wort zu grundlegenden Fragen der Informationswissenschaft ergreift, müsste man da nicht auch den Jüngeren sagen, zumal sie in wenigen Jahren die Debatte tragen und fortsetzen sollen: Sapere aude?
Herzlichst Ihr Willi Bredemeier