Zukunft der Informationswissenschaft
Wer nicht unter Artenschutz steht,
muss Eigeninitiative entfalten
„Regelungskäfig“ staatlicher Fürsorge verlassen und verlorene Freiräume zurückgewinnen
Open-Password-Gespräch mit Branchenpionier und -satiriker Dieter Schumacher
PW: Nach der Abwicklung ehemals als verdienstvoll angesehener Einrichtungen ist die Zukunft der Informationswissenschaft wieder zu einem Brennpunktthema geworden. Der Diskurs findet allerdings nur unter Insidern und Betroffenen statt.
DS: Die Informationswissenschaft war ja schon immer im Vergleich mit den etablierten Fächern ein zartes Pflänzlein, erfuhr aber durch die Öffentliche Hand bis zur „Google-Wende“ eine institutionelle Festigung und konnte sich unter dem Dach der IuD-Politik eines Eigenlebens erfreuen. Diese Alleinstellung ging mit der „Entpolitisierung“ verloren: Fortan gehörte sie für die Obrigkeit nicht mehr zu den schützenswerten Disziplinen und wurde zu einem Tummelfeld für Kostensenker.
PW: Demnach wäre die Politik an allem schuld?
DS: In gewisser Weise schon, denn es gibt jetzt auf Regierungsebene keine Zuständigkeiten für IuD mehr, und ohne Zuständigkeit läuft nichts. Unserer Disziplin gingen die Befürworter und Ansprechpartner verloren. Wer nicht unter Artenschutz steht, muss Eigeninitiativen entfalten. Dafür waren und sind unsere Altvorderen aber weder programmiert noch motiviert.
PW: Wäre eine Revitalisierung somit nur mit Fremdhilfe möglich?
DS: Fakt ist, dass sich die Informationswissenschaft mittlerweile metastasenhaft in fast allen etablierten Disziplinen eingenistet hat (vgl. Beitrag Schlögl) und sich insoweit eines blühenden Lebens erfreut, wenn auch unter Verlusten in der reinen Lehre. Es wurde versäumt, sich dieser extrinsischen Stimulation anzuschließen. Man verharrt im intrinsischen Modus und verzichtet damit auf die eigene Profilierung. Es gibt mittlerweile zahlreiche Mikrodisziplinen und Studiengänge, die letztlich Informationswissenschaft betreiben, aber als Bindestrich-Wissenschaften mit Begriffen wie Informatik, Medien oder Kommunikation verknüpft sind und unsere alten Arbeitsgebiete übernommen haben. Das muss man allerdings nicht unbedingt bedauern.
PW: Brauchen wir dann noch eine Kerndisziplin?
DS: Hier sollten wir unterscheiden zwischen Forschung und Lehre. Christian Schlögl und Wolfgang Stock (siehe ihre entsprechenden Beiträge in Open Password) unterscheiden sogar drei informationswissenschaftliche Kerndisziplinen:
• Wissensrepräsentation,
• Information Retrieval und
• Nutzerforschung,
flankiert durch eine eigene Informetrie.
Das ist aus der Innensicht der Disziplin und aus der Forschungsperspektive gerechtfertigt. In der Lehre muss eine lebendige Disziplin aber großräumiger denken und ihre externen Wirkungsfelder einbeziehen, wo abgespecktes Knowhow ausreicht. Wir brauchen also eine vergleichsweise kleine Forschungsinfrastruktur für die Kernthemen und eine Verbreitungsinfrastruktur in allen anderen Disziplinen und in der Außenwelt.