Von Willi Bredemeier
Es gibt zwei Gründe, warum wir uns alle „Snowden“ in der Version von Oliver Stone ansehen sollten. Erstens wird mit dem Film Edward Snowden ein Denkmal gesetzt. Die Verehrungsstätten für Individuen haben sich in den letzten Jahrhunderten – von den Reiterstandbildern für hervorragende Geburten und Siege in Schlachten zu den Museen und Events für kanonisierte Künstler – stark gewandelt. Aber die Sehnsucht nach Verehrungsstätten ist erhalten geblieben. Man sehe sich die unendlichen Schlangen vor dem Louvre oder den Uffizien an.
In der Informationsbranche gibt es keinen Besseren als Edward Snowden, dem man ein Denkmal setzen sollte. Gegen einen ungemein starken Konformitätsdruck des Establishments des weltführenden Landes hielt er an universalen Prinzipien fest, nannte das anlasslose Ausspähen eines großen Teils der Weltbevölkerung unmoralisch, nutzte die Chance, die Welt zu verändern, indem er sich an die Öffentlichkeit wandte, ging dafür Risiken für sein Leben ein und verlor seine Heimat.
Als ich Ende 2013 vielleicht anderthalb Dutzend Menschen fragte, wer Passwords Mann des Jahres werden sollte, nannten alle meiner Erinnerung nach „Snowden“ (nur ganz wenige gaben noch eine zweite Wahl an). Wir alle waren über die Enthüllungen Snowdens dermaßen schockiert, dass wir bereit waren, von unseren Tagesgeschäften aufzublicken und über den Tellerrand zu schauen. Dies geschah im Vorgriff auf die Mobilisierungen der Informationsbranche des Jahres 2016, als wir uns gegen die Schließungen der Informationswissenschaften an der Universität Düsseldorf und gegen die Abwicklung der ZB MED wandten – dies mit dem zusätzlichen Gefühl, dass wir mit unserem Protest vielleicht etwas bewirken würden.
Der zweite Grund, warum wir uns „Snowden“ ansehen sollten, ist einer Szene des Films geschuldet. Unmittelbar vor dem Abspann tritt Snowden in einer Videokonferenz auf und verbreitet Politikgewäsch a la Hollywood. Aber dann wird unvermittelt der Schauspieler, der Snowden performt, durch den echten Snowden ersetzt und was dieser auch an Persönlichem sagt, ist authentisch und sehr berührend. Das führte mich zu der Ansicht, dass ein dokumentarischer oder halbdokumentarischer Film über und mit Snowden besser ausgefallen wäre.
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Das Feuilleton hat Oliver Stone nie gemocht, und teilweise hat es diesmal recht.
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Die Kritiker haben Oliver Stone nie besonders gemocht, wohl weil es ihm nie um das große Gefühl (außer das der politischen Empörung) noch um formale Experimente, vielmehr immer um eine eindeutige politische Botschaft ging. Vielleicht spielte auch eine Rolle, dass er für amerikanische Verhältnisse weit links steht. Diesmal muss ich den Feuilletonisten insoweit recht geben, als Stone saft- und kraftlos agiert, wenn er den Wandel Snowdens vom konservativen Patrioten zum aufrechten Whistleblower abfotografiert, als handele es sich um Schulfunk oder eine pädagogische Instruktionsstunde. Die Charaktere sind einschließlich des Protagonisten eindimensional (Poitras und Greenwald werden zu Stichwortgebern erniedrigt, so sagt Poitras fast nur: „Sie können mir vertrauen“), die Dialoge sind papieren, die Lage mag dramatisch sein, aber es findet kein Drama statt, der CIA- und der NSA-Kontext bleiben banal (eigentlich machen alle nur ihren Job) und die Liebesgeschichte ist fast unerträglich konventionell. Wenn Snowden sich dem vermeintlichen Massengeschmack der Kinobesucher zuliebe entschließt, ein Whistleblower zu werden, weil auch noch seine Freundin überwacht wird, dann ist das eine Verfälschung und Verballhornung der Causa Snowden. Da sind wir von den führenden US- und dänischen Serien, die ihren Zuschauern etwas zutrauen, Besseres gewöhnt.
O.k., die gesamte Filmbranche hat es bislang nicht sonderlich gut geschafft, die abstrakten Zusammenhänge der digitalen Gesellschaft in angemessene und packende Bilder und Geschichten zu packen. Stone konnte den Gegnern Snowdens keine intelligenten Rechtfertigungen für ihr Tun in den Mund legen, weil es diese nicht gibt. (So konnte die NSA kein einziges Beispiel angeben, wie ihre Ausspähung der Menschheit einen Terroranschlug verhindert habe.) Vielleicht ist die CIA- und NSA-Community wirklich so banal, dass alle ihre Mitglieder nur ihren Job tun.
Aber es hätte doch möglich sein müssen, dem Charakter Snowdens eine gewisse Ambivalenz zu geben und den Konflikt, an eine hochkreative Aufgabe mit mächtigen Wirkungschancen gehen zu dürfen, aber dafür einen „Pakt mit dem Teufel“ eingehen zu müssen, eindringlicher darzustellen. Und dass man das Leben in sinistren Gemeinschaften wie die NSA packend und authentisch darstellen kann, haben Serien wie „Allein gegen die Mafia“ und „Gomorrha“ und gelegentlich sogar deutsche Thriller unter Beweis gestellt.
Nehmen wir den Film von Stone zum Anlass, um zu fragen, was aus der Causa Snowden geworden ist? Die Weltöffentlichkeit weiß jetzt besser, wie die Geheimdienste agieren und dass wir uns in einem weltweiten Überwachungsstaat befinden. Immerhin das kommt aus dem „Snowden“-Film rüber, dass die Schlapphüte nach wie vor zu allem bereit sind – auch wenn sich Donald Trump als Gefahr für den Weltfrieden erweisen sollte. (Er müsste als Präsident ja nur tun, was er angekündigt hat.) Snowden hat den Vereinigten Staaten geschadet – nicht ihrer Sicherheit, wohl aber ihrem Image, es sei denn, sie kehrten auf dem einmal eingeschlagenen Wege um. Davon kann bislang nicht die Rede sein.